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Badisches Tagblatt, 23.6.03

"Das erweiterte Ötigheimer Kammerorchester unter der Leitung von Matthias Hammerschmitt und verstärkt durch die Rockband des Bagger (Boris Björn Bagger) -Rüber Ensembles schafft es glänzend, eine rockige, drohend dunkle, aber auch sanft gefühlvolle Atmosphäre entstehen zu lassen."


Superstar Jesus, denn schwärmen ist leichter als glauben
VON BT-REDAKTEURIN CHRISTIANE LENHARDT


Seit mehr als 30 Jahren wird die Rock Opera „Jesus Christ Superstar" des britischen Komponisten Andrew Lloyd Webber und des Autors Tim Rice mit viel Erfolg auf den Bühnen dieser Welt gespielt. Auch am New Yorker Broadway läuft das Musical mit den anspruchsvollen Gesangsrollen derzeit in einer Neufassung.
Auf der großen Freilichtbühne der Ötigheimer Volksschauspiele hat die Geschichte über die sieben letzten Tage von Jesus Christus jetzt eine gigantische Neuinterpretation erfahren, die mit den hunderten von Mitwirkenden schon Spielfilmformat hat--und damit weit über die Bühnen-Fassungen der üblichen Theater hinausgeht. Regisseur Manfred Sträube, nach den Ötigheimer Inszenierungen von „My Fair Lady" und Mozarts „Zauberflöte" der vergangenen Jahre bestens mit den Ausmaßen der Waldbühne vertraut, hat diesmal sein Meisterstück abgeliefert: wie er die vielen engagiert mitgehenden Volksdarsteller, die Choristen und Tänzerinnen durch die gemäßigt moderne, emotionale Rockoper dirigiert hat, ist klasse gelungen. Die mächtige Ötigheimer Tempelarchitektur mit einem schönen illusionistischen Abschlussprospekt auf der linken Seitenbühne von Fridolin Müller schafft eine sinnfällig verwandelbare Atmosphäre.

Kernige Typen fordern den Statthalter heraus


Das erweiterte Ötigheimer Kammerorchester unter der Leitung von Matthias Hammerschmitt und verstärkt durch die Rockband des Bagger (Boris Björn Bagger) -Rüber Ensembles schafft es glänzend, eine rockige, drohend dunkle, aber auch sanft gefühlvolle Atmosphäre entstehen zu lassen.


Das legt einen bewegenden Soundteppich unter das immer noch ansprechende Musical.
„Jesus Christ Superstar" hat viel Power und Gefühl. Kernige, kraftvolle Typen fordern die Römer und die ehrwürdigen jüdischen Hohepriester heraus. Sträube lässt Jesus' Anhänger mit Flugblättern anrücken -„Kaiphas Du verrätst Dein Volk, tritt ab oder stirb", lautet die Parole, „Tod den Römern" prangt da an den Häuserfassaden. Es brodelt so richtig im Hexenkessel Jerusalem. Jesus wird wie ein Popstar verehrt, der aber entzieht sich fast brüsk ablehnend und gehetzt diesen Riesenerwartungen, fühlt sich gänzlich missverstanden, lässt sich -"„retten“ und pflegen von der Prostituierten Maria Magdalena. Hier geht es volksnah,
ziemlich menschlich und recht freizügig zu, keine leichte Kost für Gläubige, die die Heilsgeschichte in der konventionellen Predigtversion kennen. Der Ötigheimer Pfarrer und Volksschauspiele-Vorsitzende Erich Penka schickte denn auch dieser theatralischen Saisoneröffnung die Aufforderung ans Publikum voraus: Die Zuschauer mögen mit dem etwas anderen Christus-Bild der Rockoper eine neuen Zugang zu Jesus finden.
Bei der Premiere hat das brillant geklappt. Es gab viel Szenenapplaus und am Ende-enthusiastische Standing Qvations für Darsteller und Inszenierung. Die birgt denn auch viele überraschende, hübsche Szeneneinfälle. Straube spielt sogar mit einer modernen Wendung auf das blutig umkämpfte, brennende
Jerusalem von heute an, die anfangs etwas verwirrt, aber sich am Ende noch geglückt auflöst.
Er bindet die Jesus-Geschichte in eine Rahmenhandlung ein und lässt eine moderne Touristengruppe, der auch der Jesus-Darsteller angehört, mit einem Bus anrollen. Man besichtigt den Tempel mit dem Golgatha-Kreuz davor und taucht so hinein die historische Geschichte.
Der Hamburger Sänger Holger Marks ist ein zurückhaltender, schwermütiger Jesus von Nazareth, dem die Enttäuschung über die selbst von seinen Anhängern missverstandene Friedensbotschaft in den traurigen Augen und den bedächtigen Gesten abzulesen ist. Im Gegensatz dazu steht seine klare, kräftige und wärme Tenorstimme, die die teils rockigen, teils sehr emotionalen, elegischen Songs zu opernhafter Hochform stilisiert -und damit unterstreicht er die recht anspruchsvolle Partitur des Musicalkomponisten Lloyd Webber. Halt gibt diesem Verzweifelten vor allem die fürsorgliche, verliebte Maria Magdalena, einfühlsam gesungen von Jeanette Giese, die viel Dramatik in ihren lyrischen Sopran legt.
Sie ist der sanfte, aber mutige Gegenpart zum ungestümen, bitter von Jesus' Kampfesunlust enttäuschten Judas. Pascal Marshall hat die zweite herausragende Führungsrolle des Stücks in der Premierenaufführung übernommen - und überzeugt zwar darstellerisch, hat aber leider sängerisch in den hohen, schwierigen Tönen dieser Partie stimmliche Probleme, worunter auch die Verständlichkeit leidet. Pascal Marshall ist als Judas ein wilder Rocker-Typ, düster wie ein Anarchist mit energischen Bewegungen setzt er Jesus zu und wird schließlich zum Verräter.
Als Erstbesetzung ist Bruder Marc Marshall vorgesehen, die Premiere hat er aus gesundheitlichen Gründen nicht übernehmen können. Wann der bekannte Bariton bei „Jesus Christ Superstar" mitwirkt, ist laut Volksschauspiele noch offen.
Das Spektakel mit den 22 Szenenbildern reißt mit, die Gesangsrollen sind mit den gut ausgebildeten Ötigheimer Rollenträgern bestens besetzt: Martin Kühn glänzt als diabolischer, machtbesessener Kaiphas in der steifen Ledermäntel-Fraktion der Hohepriester-Tafelrunde und Reinhard Danner als leidenschaftlicher sympathischer Kämpfer Simon Zelotes mit herausragender Stimme. Auch die flott agierenden Apostel, allen voran Roman Gallion (Petrus), gefallen. Ein unterhaltsames Prachtstückchen ist die Szene im Palast von König Herodes -mit einem swingenden Horst Herrmann im weißen Dandy-
Anzug neben leicht bekleideten . Charleston-Tänzerinnen. Auch Paul Hug als kräftig gegen den „Wundermann" Jesus polemisierender Pontius Pilatus mit wohl tönender dunkler Gesangsstimme ist sehenswert.
Und immer wieder ist der große und junge Chor der Volksschauspiele in die Massenszenen eingebunden mit bestens trainierten Stimmen, deutlich artikulierend und dabei darstellerisch überzeugend. Am ergreifendsten von allen gelingt Regisseur Sträube die Szene der Aussätzigen, Blinden und Bedürftigen. Sie umzingeln und bedrängen Jesus massiv mit ihren verzweifelten Wünschen nach Heilung und Erlösung vom Leiden.

Die vielen Amateure in den flott gespielten Markt- und Massenszenen überzeugen durch Begeisterung und Einsatz, ebenso die schwungvollen Tanznummern in der Choreografie von Andrei Golescu und Dagmar Jänner. Die Kostüme von Helmi Henssler erinnern streckenweise an die Hippies zur Entstehungszeit des Musicals, sind eine Mischung aus traditionellem Ötigheimer Römer-Outfit und gemäßigt modernen Gewändern. Einer der Höhepunkte der Choreografie von „Jesus Christ Superstar", auch in Ötigheim, ist die Vision des gepeinigten Jesus, der den wiedergeborenen Judas als Popstar inmitten weißer, schriller Engel sieht - hier gelingt eine schräge Showeinlage, bei der das Ensemble den Musicalhit „Jesus Christ Superstar" schmettert. Die lebendig und mitreißend inszenierte Rockoper klingt nachdenklich aus, nur konsequent angesichts der politischen Lage im Heiligen Land. Der „Passions"-Spielort Ötigheim hat mit dem Stück eine Christus-Geschichte ganz anderer Art für sich entdeckt.

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