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„Jesus Christ Superstar"

Dirigent Matthias Hammerschmitt vollbrachte mit seiner Riesentruppe eine Riesenleistung. Das verstärkte, von Florian Ganz einstudierte Kammerorchester Ötigheim und die Bagger (Boris Björn Bagger)-Rüber-Rockband legten sich mitreißend in die Riemen, und die szenisch raffinierte und optisch perfekte Aufbereitung der Rockoper gaben dem Abend durchaus visionäre Größe. "

Badische Neueste Nachrichten, 23.06.2003

Der Erlöser bebt und rockt

 

Zum Superstart in Ötigheim

 

Es wimmelt wie im Freibad bei Dauerhitze. Würste und Getränke sichern angenehm die Grundversorgung der Massen und signalisieren: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein. Dem volkstümlichen, entspannenden Entree folgt denn auch ein Vollbad der Sinne. Selbst die größten Freilichtmuffel dürften alljährlich, an dieser Wunderstätte vor Staunen erblassen: Schon bevor das Spiel beginnt, überwältigt den Besucher das prächtige Panorama des außergewöhnlichen Naturtheaters, das sich aus gutem Grund selbst als Deutschlands größte Freilichtbühne preist.

Das Phänomen Ötigheim ist überaus faszinierend. Man müsste wohl das ganze Dorf im Sommer unter Quarantäne stellen, um die Umgebung vor der Infektion mit solcher Theaterleidenschaft zu schützen. Kaum ein Ötigheimer fehlt, und das Getümmel und Gewimmel unterm Himmel ist allein schon ein Ereignis. Und wenn das milde Abendrot unmerklich in die lauschige Dunkelheit der Sommernacht und den Glanz der wirkungsvoll illuminierten Palastkulissen übergeht, ist der Bühnenzauber komplett. Wer das erlebt hat, will wiederkommen.

In diesem Jahr dürfte Ötigheim diese Erfolgsformel noch übertroffen haben, denn die Volksschauspiele landeten mit Andrew Lloyd Webbers Rockoper „Jesus Christ Superstar" einen besonderen Coup. Pfarrer Josef Saier, Gründer dieser „erweiterten Kanzel", hätte glücklich seinen Segen dazu gegeben, der Papst wohl umfassende Ablässe gespendet angesichts der kühnen Volte von der Weihestätte zum Rockpalast, in dem sich der religiös motivierte Besucher ebenso heimisch fühlen darf wie der Freund zündender Musicalekstase. Zugleich bezeichnete der Saisonstart einen viel versprechenden stilistischen Richtungswechsel und die Öffnung hin zu flottem, zeitgerechtem Repertoire.

Auch den Anstrich beherzten Laientums, so verdienstvoll es auch bislang die Bühne stützen mochte, scheint Ötigheim zu Gunsten zunehmender Professionalität abzulegen. Klug genutzte Technik, kompetente Regie und musikalischer Anspruch paarten sich hier zum großen Wurf, den das Premierenpublikum mit tosender Begeisterung belohnte. Webbers fetzige Passionsparaphrase hat selbst nach über 30

 

 MESSIAS INMITTEN DER MASSEN: Holger Marks in der Titelrolle der Rockoper «Jesus Christ Superstar" von Andrew Lloyd Webber, die jetzt zum sommerlichen Saisonstart auf der Freilichtbühne in Ötigheim Premiere feierte.                                                                                                                           Foto:Artis

 

 Jahren nichts an Schwung und Energie eingebüßt, auch wenn manche schräge Melodei, die in den 70ern noch die andächtigen Gemüter schreckte, heute fast schon handzahm wirkt. Gleiches gilt für den raubauzigen Revoluzzerjargon, dem der Messias und seine Apostel frönen.

Alles, was dieses überaus dramatisch bewegte Musical an Energie und Klangeffekten zu bieten hat, holten die Ötigheimer mit bewundernswertem Feuer heraus. Dirigent Matthias Hammerschmitt vollbrachte mit seiner Riesentruppe eine Riesenleistung. Das verstärkte, von Florian Ganz einstudierte Kammerorchester Ötigheim und die Bagger-Rüber-Rockband legten sich mitreißend in die Riemen, und die szenisch raffinierte und optisch perfekte Aufbereitung der Rockoper gaben dem Abend durchaus visionäre Größe. Als Dompteur der Massen verdiente sich Regisseur Manfred Sträube die gleiche Bewunderung, vor allem weil er die heiklen Dimensionen der Freilichtbühne virtuos beherrschte. Zügig und flott gehen die Aufzüge der Heerscharen vonstatten, bilden sich Tableaus von bezwingender, suggestiver Kraft.

Die Aussätzigen, die Jesus wie ein bedrohliches Rudel umringen, die keifenden Volksmassen und das dekadente Gefolge des Herodes sind nur einige Beispiele für Straubes dynamische Regie, die das Ganze mit einem fabelhaften Finale krönte: Im Schwarzweißkontrast der tanzenden, glitzernden Engelchen und der schwarzen Passionsmenge, die sich schließlich vor dem brennenden Marterholz zum großen Kreuz formt, geht die Botschaft des Erlösungsdramas auf.

Die Protagonisten führte Holger Marks in der Titelrolle mit stimmlicher Energie und bewegendem Spiel an, während es Jeannette Giese (Maria Magdalena) und Pascal Marshall (Judas Ischariot) eher schwer fiel, die gleiche Höhe zu erreichen. Das notgedrungen zwischen ihnen und den Laiendarstellern entstehende Gefälle überbrückten Paul Hug (Pontius Pilatus), Martin Kühn (Kaiphas), Roman Gallion (Petrus), Marcus Köstel (Annas), Horst Herrmann (Herodes) und die vielen anderen, kaum aufzuzählenden Spieler mit hingebungsvollem Einsatz und Geschick.

Überhaupt: Kein Ende würde einer finden, der die Bataillone aller Mitwirkenden und Beteiligten angeben wollte. Die Kreise der Jünger und strengen Hohepriester gehören ebenso dazu wie die süßen Soul-Mädels, die punktgenau und flexibel agierenden Chöre der Ötigheimer Spielgemeinschaft und die technische Equipe des Spektakels. Die für Bühnenbild und Kostüme zuständigen Fridolin Müller und Helmi Henssler sowie die Choreograf en Andrei Golescu und Dagmar Jänner leisteten ganze Arbeit. Und der herrliche Oldtimerbus, der die biblische Reisetruppe bringt und abholt, ist ebenfalls als Gewinn der rundum geglückten Vorstellung zu verbuchen.

Der Beifall toste, Ötigheim leuchtete, und selbst die Vöglein zwitscherten in diesem Jubelchore munter mit. (Weitere Aufführungen am 27. und 28. Juni, 12., 20., 26. und 27. Juli, 1., 2., 3., 8. und 9. August. Infos im Internet: www.volksschauspiele.de) 

Ulrich Hartmann

 

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